In keinem Unternehmensleitbild darf die Trias aus WofürWas und Wie fehlen – Purpose, Vision und Mission. Viele Webseiten schreiben dergleichen lehrbuchmäßig aus und verkünden, was die Daseinsberechtigung und der Zweck ihres Unternehmens seien. Das soll Kunden wie Mitarbeitende motivieren, weil Menschen angeblich so funktionierten: Sie bräuchten Zwecke, ein „Warum“ im Leben, am besten eine (ziemlich exponierte) Stellung im Kosmos – einen umfassenden, ihre Existenz begründenden Sinn.

Von Mönchen und Managern

Die Vorstellung zum Beispiel, Mönche würden jeden Tag vom Zweck ihres Ordens beseelt aufstehen, ist nicht nur romantisch, sondern naiv. Wer „heilige Institutionen“ erforscht, erkennt schnell, dass sie nicht durch Zwecke, Lehre oder Sinn zusammengehalten werden, sondern von einem Geflecht aus Kräften – ein Netz, in dem alle Saiten der Menschen mitschwingen. Es sind Zugehörigkeit, Freude am Miteinander, die intellektuelle, moralische und ästhetische Zuwendung zu einem gemeinsamen Gegenstand. Erzählungen, Rituale, Symbole, Humor, Tanz, Musik, Architektur. Und die beglückende Erfahrung, mit anderen Aufgaben anzugehen, Konflikte zu lösen und sich zu behaupten. Das stiftet Verbundenheit – auch über Generationen hinweg.

Zu diesen hellen Kräften gesellen sich die dunkleren: Konkurrenz, Eitelkeit, Macht, Schuld, Verlust. Auch sie binden, weil sie uns fordern: Erzählungen über uns selbst können wir dann nicht unverändert lassen. Gemeinschaft entsteht selten nur aus Harmonie, sondern auch aus ertragenem Widerspruch und durchlittenem Leid.

Die meisten dieser Phänomene sind nicht funktional, nicht effizient oder zweckgerichtet. Es sind dies jedoch die Bindekräfte des Zwecklosen, des Ornamenthaften, des Beiläufigen.

Viele Purpose-, Missions- und Visionsstatements lassen dies beiseite – und wirken darum steril und künstlich. Sie laden den größten Feind jeder Organisation geradezu ein: den Zynismus. Denn da sich längst herumgesprochen hat, dass wer von Purpose redet, meist intrinsische Motivation zum Nulltarif meint, ahnt jeder die manipulative Absicht – und ist, zu Recht, verstimmt.

Es ist Zeit, das zu lassen.

Gegen Zynismus: Räume des Zwecklosen

In der Leitbild- und Kulturentwicklung geht es darum, die Räume des Zwecklosen zu erkennen, zu schützen und zu gestalten. Statt schamhaft zu schweigen, wenn es um den eigentlichen Unternehmenszweck geht – Umsatz, Gewinn, Wertsteigerung, Arbeitsplatzsicherheit –, sollte man sich dazu bekennen. Aber zugleich offen fragen, wie dieser Zweck mit den zwecklosen, humanen und existenziellen Bedürfnissen der Mitarbeitenden verbunden werden kann.

Solche Gespräche lösen die verkrampfte Suche nach „höheren Zwecken“. Sie führen zu einer geerdeten Freude an gemeinsamer Arbeit – und vielleicht darüber hinaus zu Fragen, die Unternehmen viel zu selten stellen. Sie führen zu einer anderen Art der Selbstbegegnung:

  • Was erzählen wir unseren Freunden wirklich, wenn wir von unserer Arbeit sprechen?
  • Welche Geschichte hat unser Unternehmen, und wie hängt sie mit unserer eigenen Biografie und der Geschichte dieses Landes zusammen?
  • Welche Vorbilder stehen für eine Arbeit, die wir gerne tun?
  • Wo fühlt sich unsere Firma „schön“ an – und wo nicht?
  • Welche Rituale geben unserem Alltag Rhythmus?
  • Wann lachen wir herzlich? Wann sorgen wir uns?
  • Welche Konflikte haben uns einander Nähe gebracht?
  • Wo, wann und wie sind wir gescheitert, und welche Gefühle verbinden wir damit? Welche Erfolge machen uns stolz?
  • Wo stehen wir, über die Arbeit hinaus, füreinander ein?

Diese Fragen dürfen nicht mit zweckorientiertem Hintersinn „abgeklappert“ werden. Sie wecken ihre verborgenen Kräfte nur dann, wenn sie selbstzweckhaft beantwortet werden – aus dem Wunsch heraus, sich erzählend die Welt zu erschließen.

Wer das Paradox und das Risiko aushält, zweckfrei die zwecklosen Grundlagen der Zweckerfüllung zu umkreisen, wird sein Unternehmen stärker vitalisieren, als es Purpose-Ideologen je denken können.


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