Die Bundestagswahl hat nicht nur neue politische Konstellationen hervorgebracht, sondern auch tiefgreifende gesellschaftliche und wirtschaftliche Spannungen offenbart. Die kommenden Jahrzehnte werden von grundlegenden Umbrüchen geprägt sein, die sich in mehreren zentralen Konfliktlinien manifestieren. Diese Linien verlaufen quer durch Politik, Wirtschaft und Gesellschaft; sie stellen Unternehmen und Führungskräfte vor große Herausforderungen.

Die Notwendigkeit, zwischen verschiedenen Interessen zu vermitteln, wird zunehmen, während alte Gewissheiten bröckeln. Interne Unternehmenskommunikation und Führung gleichen zunehmend einem Minenfeld.

Die neue Regierung und die kommenden Jahrzehnte werden von fünf sich zum Teil überkreuzenden Konfliktlinien geprägt sein:

1. Arbeit vs. Kapital

Dieser Klassiker spitzt sich weiter zu, weil gewohnte, politisch genährte Erwartungen an Rente, Gesundheitsversorgung und Freizeit nicht mehr zu halten sind. Die Probleme insbesondere bei den Sozialversicherungen sind so drängend, ja ausufernd, dass sie sich kaum mehr leugnen lassen. Das bedeutet nicht nur höhere Beiträge, sondern auch eine größere Eigenverantwortung beim Sparen. Doch wer wird das bezahlen? Unternehmer müssen ihre Gewinne zunehmend in Innovationen und Wettbewerbsfähigkeit stecken. Können sie zugleich steigende Löhne finanzieren – oder werden sie gar Deutschland verlassen, Arbeitsplätze verlagern und Steuern andernorts zahlen?

2. Sicherheitsrelevante Technik vs. Pazifismus

Deutschlands internationale Verpflichtungen ebenso wie seine eigene Sicherheit lassen sich nicht mehr allein mit dem Scheckheft nachkommen. Die Rüstungsindustrie in Europa und Deutschland steht vor einem Take off. Gleichzeitig werden andere Produkte der Deutschen, allen voran der Maschinen- und Anlagenbau oder die Automobile von ostasiatischen Anbietern unter Druck gesetzt. Eine bisher kaum diskutierte Folge: Stahlproduzenten erhalten Angebote, Panzerstahl zu liefern. IT-Systemhäuser und Software- oder KI-Entwickler werden von militärischen Beschaffern umworben. Doch immer mehr lese und höre ich von Belegschaften, die es strikt ablehnen, Teil der militärische Zulieferkette zu werden. Hier prallen pazifistische Werte auf die sicherheitspolitischen Erwartungen von Bündnispartnern und die Bedrohung aggressiver Autokratien.

3. Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands vs. Leistungsbereitschaft und Chinaorientierung

Der Wunsch nach weniger Druck kollidiert mit der Notwendigkeit, global konkurrenzfähig zu bleiben. Während Work-Life-Balance hoch im Kurs steht, zeigt sich in China oder den USA eine ganz andere Arbeitsmoral: weniger Urlaub, längere Wochenarbeitszeiten, geringerer Lohn, mehr Lernbereitschaft und höhere Flexibilität. Das kann man alles kritikwürdig finden und dagegen den Fortschritt des deutschen Industrie- und Wohlstandsmodell hochhalten. Doch: Wie lange kann Deutschland seine hohen Standards noch halten? Werden die Kosten solchen Zeit- und Geldwohlstandes die Käufer deutscher Produkte in den großen Wirtschaftsräumen in Übersee weiterhin tragen? Bisher war die Antwort, sie müssten dies, denn deutsche Qualität rechtfertige schließlich die höheren Preise.

4. Migration und Diversität vs. Verteilung des Mehrprodukts

Migration kann helfen, den Fachkräftemangel zu lindern. Daneben ist Migration auch eine Frage der Humanität: Aufnehmen, wer Schutz sucht, auch aufnehmen, wer andernorts bedauernswert geringe Chancen für ein gutes Leben hat. Doch Migration wirft Fragen auf nicht nur der Integration, sondern auch der Verteilungsgerechtigkeit. Das gilt besonders bei knapper werdenden Mitteln, weil andere Großprojekte wie Energiewende oder Sicherheitspolitik, oder weil Mittel bei Infrastruktur und Bildung dringend gebraucht werden, oder weil die Renten- und Krankenversicherung ein Vorstellung vom guten Leben finanzieren, über welche in unserer Gesellschaft offenbar Konsens besteht. Doch wie wird sich Migration in Zeiten der Mittelkonflikte auswirken? Können wir wirklich alle zu uns Kommenden in unsere Wirtschaft eingliedern – so dass sie anpacken, mitmachen, für ihren Lebensunterhalt sorgen und sich an der Finanzierung des Gemeinwesens beteiligen oder gar bürgerschaftlich engagieren? Werden Konflikte um Ressourcen, Wohnraum und Arbeitsplätze zunehmen?

5. Günstige Energie vs. Klimaschutz

Die Energiewende in Deutschland wurde als „alternativlos“ beschrieben; billige und riskante oder emissionsintensive Energie soll durch grüne und nachhaltige Energieformen ersetzt werden. Es soll sicher und nachhaltig und bezahlbar werden. Längst ist klar: Diese Art der Alternativlosigkeit ist teuer. Unternehmen brauchen vergleichsweise günstigere Energie als heute auf dem deutschen Markt eingekauft werden kann. Wenn nicht, wird dies zum Wettbewerbsnachteil. Der Konflikt zwischen kurzfristigem ökonomischem Druck und langfristiger ökologischer Wirtschaft durch die heute verfügbaren grünen Energieformen wird weiter zunehmen.

Konfliktkreuzungen

Diese Konflikte überlagern sich vielfach. Etwa wenn ein Unternehmen günstige Energie braucht, aber gleichzeitig Diversitätsziele verfolgt und in die Rüstungsindustrie einsteigen soll. Oder wenn längere Arbeitszeiten und geringere Einkommen nicht ausreichen, um die Wettbewerbsfähigkeit zu sichern, während die Integration von Migranten scheitert. Oder wenn Atomkraft als Brückentechnologie diskutiert wird, um wirtschaftliche und migrationspolitische Ziele zu erreichen.

Diese Konfliktkreuzungen lassen eine schwer zu verstehende und zu moderierende Gemengelage von Argumenten, Betroffenen und Interessengruppen entstehen. Alles hängt mit allem zusammen. Eine Auflösung der Konflikte zu Gunsten eines Modells, welches in sich annähernd widerspruchsfrei ist, lässt sich nicht erkennen.

Moral und Zweckmäßigkeit prallen aufeinander

Unternehmen stehen im Zentrum dieser Debatten. Sie schaffen das Mehrprodukt, mit dem Politik und Gesellschaft gestalten wollen, Familien und Bürger gut leben möchten und das sicherheitspolitische Erwartungen unserer Bündnispartner stützt. Moralische Vorstellung vom richtigen Handeln scheinen unzweckmäßig und nicht zur Logik internationaler Konkurrenz um Wohlstand und Sicherheit zu passen. Und noch schlimmer: Die Moral gibt es schon lange nicht mehr, ein moralischer Konsens innerhalb Deutschlands ist passé. Vielmehr prallen verschiedene Moralentwürfe zusammen mit verschiedenen Zweckmäßigkeiten: denn auch die Logik der Sicherheit ist keine, die sich so einfach mit der Logik des Wohlstands oder der Logik der Nachhaltigkeit verträgt.

Was tun?

Die Zeit der Konfliktvermeidung ist vorbei. – Dominierten vor allem nach 1990 vielfach die Einschätzungen jener, die das Ende der Politik sahen, oder gar gleich das Ende der Geschichte, so wird nun deutlich: Entscheidung sind nicht nur für etwas, sondern auch gegen etwas zu fällen. Alternativlos ist gar nichts, außer das Denken in Alternativen.

Gefragt sind Führungskräfte, die sich mit den Argumenten und Perspektiven der verschiedenen Lager auseinandersetzen. Meinungsfreiheit bedeutet auch, unliebsame oder unangenehme Standpunkte auszuhalten. Unternehmen müssen sich entscheiden: Endlose Diskussionen sind nicht möglich. Daraus ergibt sich eine kommunikative Führungsaufgabe: erklären, werben, Standpunkte beziehen – und dennoch andere Meinungen als legitim anerkennen.

Mehr denn je ist darum Issues Management gefragt. Unternehmen müssen kritische Themen nach Wahrscheinlichkeiten und möglichen Schäden für Reputation und Wertschöpfung analysieren, fortlaufend beobachten – und die Führungsebene mit Vorschlägen versehen, wie Schmerzen gelindert und Motivation gestärkt werden kann. Nie zuvor war Kommunikation so unmittelbar Wertschaffend wie heute: einer Zeit verschiedener Unsicherheiten und Konflikte.

Denn alle anstehenden Veränderungen treffen keine abstrakte Gesellschaft, oder die Wirtschaft; es sind Veränderungen, die Organisationen und Unternehmen betreffen. Und sie können nicht ausweichen.

Unternehmer und ihre Kommunikatoren müssen politisch denken und führen wie nie zuvor. Wer sich dem entzieht, gestaltet Konflikte und Krisen nicht – er ist ihnen ausgeliefert.


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